Blasenkrebs – was nun?
Möglichkeiten der künstlichen Harnableitung

 

Möglichkeiten der künstlichen Harnableitung

 

Vor der Operation ist besprochen worden, welche Möglichkeiten es gibt, den Harn zu sammeln und abzuleiten und welche Methode in Ihrem Fall infrage kommt und weshalb. Und Sie haben sich schließlich für eine Lösung entschieden, um eine lebensbedrohliche Situation abzuwenden. Der Operateur wird möglichst Ihre Entscheidung umsetzen. Wenn er während der Operation sieht, dass die Ausbreitung des Tumors oder andere Gegebenheiten dagegen sprechen, setzt er die besprochene Alternative um.

 

Eine schematische Darstellung der im Folgenden aufgeführten Möglichkeiten finden Sie hier.

 

Kontinente Harnableitung

 

Es gibt operative Lösungen, die Ihnen die Kontrolle über das Halten und das Entleeren des Urins ermöglichen. Diese Fähigkeit wird Kontinenz genannt. Zu den kontinenten Harnableitungen gehören
die Ersatzblase meistens als Ileum-Neoblase am Ort der bisherigen Blase,
die sogenannten Pouch-Konstruktionen aus dem Endstück des Dünndarms (Ileum)
oder aus Dünndarm- und Dickdarmanteilen (Ileum-Zoecum-Pouch) mit einem „Ablassventil“ meist im Bauchnabelbereich
und die Einpflanzung der Harnleiter (Ureter) in den Mastdarm, wo sich Stuhl und Urin vermischen. Bei dieser Lösung wird auf die zuverlässige Funktion des Afterschließmuskels vertraut.

 

Ileum-Neoblase

Die Ersatzblase wird aus einem ausgeschalteten und umgeformten Stück des Dünndarms gebildet, in das die Harnleiter eingepflanzt werden, sodass der Urin von den Nieren in das neue Reservoir fließt. Die neue Blase wird mit dem Rest der Schließmuskulatur im Beckenboden und der Harnröhre verbunden. Diese Lösung bietet auf den ersten Blick den Idealfall: Die Ersatzblase befindet sich am selben Ort wie die ursprüngliche Blase und die Entleerung erfolgt über denselben Weg wie bisher. Außerdem wird das Körperbild bis auf die Operationsnarbe nicht verändert. Es gibt verschiedene Ausführungen, auch solche, die besonders für Frauen geeignet sind. Dabei wird die Neoblase durch ein Gewebsnetz stabilisiert und durch die Erhaltung der vorderen Scheidenwand die weibliche sexuelle Sphäre bewahrt. Ein Beispiel hierfür ist die „Berliner Blase“, auch „Neoblase für Frauen“ genannt.
Allerdings ist die Herstellung einer Neoblase nur möglich, wenn der obere Teil der Harnröhre tumorfrei ist und erhalten werden kann. Ist das nicht der Fall, muss eine andere Harnableitung gewählt werden.

 

Pouch

Die Pouch-Blase (pouch, engl.: Beutel) ist im Prinzip eine Neoblase mit Bauchdeckenanschluss. Diese Lösung kann gewählt werden, wenn es nicht möglich ist, eine orthotope (am „richtigen“ Ort befindliche) Ersatzblase herzustellen. Wie bei der Neoblase wird aus ausgeschalteten Darmstücken ein kugelförmiger Sammelbeutel für Urin gebildet, in den die beiden Harnleiter eingepflanzt werden. Mit einem weiteren Darmsegment wird ein Anschlussstück zwischen Blase und Auslass (Stoma) in der Bauchhaut hergestellt. Der Anschluss bildet ein Ventil aus Darmanteilen, das mit steigendem Fülldruck der Blase dichter wird und den Ausgang urindicht verschließt. Entleert wird die Blase vom Patienten über einen Katheter, der in das Anschlussstück geschoben wird.
Die Harnleiter-Darmimplantation (Einpflanzung der Harnleiter in den Mastdarm) wurde oben bereits hinreichend erwähnt.

 

Folgeprobleme der Operation

 

Kontrolle der Blasenentleerung

 

Neoblase:
Die neue Blase besteht aus Darmgewebe, das seine Eigenschaften weitgehend behalten hat. Die Eigenschaften der alten Blase, sich bei Füllung zu dehnen und Harndrang zu melden und beim kontrollierten Entspannen des Schließmuskels den Entleerungsvorgang durch Zusammenziehen zu unterstützen, sind bei der Neoblase nicht vorhanden. Das bedeutet, dass Sie die Urinkontrolle – wann ist meine Blase voll und wie kann ich sie kontrolliert entleeren? – neu lernen müssen. Dazu ist ein Beckenbodentraining bzw. Blasenschließmuskeltraining unter physiotherapeutischer Anleitung erforderlich. In den Kliniken für uroonkologische Anschlussheilbehandlung und Rehabilitation ist dies ein wichtiges Element im Maßnahmenprogramm. Dort werden Ihnen auch umfangreiche Informationen über den täglichen Umgang mit der Ersatzblase vermittelt. Störend ist auch die „tröpfelnde“ Inkontinenz, die besonders in Stresssituationen auftreten kann. Am wenigsten ist nachts die Dichtheit (Kontinenz) der Neoblase gewährleistet, da dann die für das Dichthalten trainierte Muskulatur entspannt ist. Empfohlen wird, besonders nachts die Blase regelmäßig im Abstand einiger Stunden zu entleeren. Für manche Männer hat sich auch ein sog. „Urinalkondom“ als hilfreich erwiesen. Das ist ein Kondom mit einem Anschluss für einen Urinsammelbeutel. Die Neoblase und auch die Pouchblase sollten maximal bis 400 ml Urin gefüllt werden. Da die Muskulatur der alten Harnblase nicht vorhanden ist, die sich dehnen und wieder zusammenziehen konnte, weitet sich die Neoblase unter dem Gewicht des Urins im Laufe der Zeit. Häufiges Entleeren bei 200 bis 300 ml Füllung verlangsamt diesen Prozess deutlich. Durch Narbenbildung an der Verbindungsstelle zur Harnröhre kann die Blasenentleerung beeinträchtigt werden. Dann muss die Entleerung entweder durch einen Einmalkatheter erfolgen oder es wird versucht, durch operative Maßnahmen den früheren Zustand wieder herzustellen. Insbesondere bei Frauen kann es durch Absenkung der Neoblase und Abknicken der verbliebenen Scheide zu einem Verschluss der Harnröhre kommen, wenn dies nicht schon – wie bei der „Berliner Blase (Neoblase für Frauen)“ vorgesehen – bereits im Zuge der Operation durch stützende Maßnahmen verhindert wurde.

 

Pouch-Blase:
Auch beim Pouch fehlt das bekannte Gefühl der vollen Blase. Zur Entleerung ist der Umgang mit einem Katheter zu lernen, ebenso die Einschätzung des Zeitintervalls bis zur nächsten Entleerung in Abhängigkeit von der Trinkmenge. Das Nabelstoma wird durch den Fülldruck der neuen Blase abgedichtet. Undichtheiten (Inkontinenz) können hauptsächlich bei Überfüllung, d.h. nicht angepassten Entleerungsintervallen entstehen. In der Anschlussheilbehandlung evtl. auch schon vor der Operation informieren ausgebildete Fachkräfte (Stomatherapeut/innen) über die Handhabung des Pouch-Systems zur Entleerung und Spülung und über das Verhalten bei Störungen.

 

Eingriff in den Stoffwechsel

 

Beiden Lösungen gemeinsam ist die Verwendung von Dünndarmabschnitten -meistens des Endstücks (lleum) am Übergang zum Dickdarm – die zwar aus dem Verdauungssystem ausgeschaltet wurden, die aber ihre ursprüngliche Versorgung mit Blutgefäßen und Nerven beibehalten haben. Dadurch bleiben Eigenschaften und Fähigkeiten dieses Darmstücks auch im neuen Wirkungsbereich erhalten und führen dort zu mehr oder weniger starken Störungen. Eine davon ist die Schleimproduktion, die den Urin trübt und manchmal zu Abflussstörungen führt. Der Schleim sammelt sich an der tiefsten Stelle der Ersatzblase an. Bei der Neoblase wird der Schleim durch die Harnröhre mit dem Urin ausgeschieden. Die Pouch-Ersatzblase muss gelegentlich mit einem Katheter gespült werden, um den Schleim zu entfernen. Reichliches Trinken ist hilfreich, ebenso kann Preiselbeersaft den Schleim verdünnen. Über die Darmschleimhaut gelangen auch Stoffe aus dem Urin wieder in den Blutkreislauf, die eigentlich ausgeschieden werden sollten. Dadurch kann es zu einer Übersäuerung des Körpers kommen, die jedoch bei Bedarf mit Hydrogencarbonat abgepuffert werden kann. Eine Übersäuerung wird durch die Messung des Säure-Basen-Wertes im Blut mit der Blutgasanalyse (BGA) festgestellt. Diese Untersuchung soll in regelmäßigen Abständen erfolgen (siehe Nachsorge). Das entnommene Darmstück (lleum) hatte u.a. die Aufgaben, dem Nahrungsbrei Wasser, Vitamine, Medikamente und auch überschüssige Gallensäure zu entziehen. Da diese Aufgaben vom verkürzten Dünndarm nicht mehr in vollem Umfang erfüllt werden können, kommt es zu Störungen mit großer individueller Bandbreite. Durchfälle bereiten nicht selten Probleme, die einer Behandlung mit Medikamenten bedürfen. Ursache ist häufig, dass Gallensäure in den Dickdarm gelangt. Der nach etwa drei Jahren auftretende Mangel an Vitamin B12 kann leicht ausgeglichen werden. Da diese Folgeprobleme insgesamt sehr komplex sind, bedürfen sie weiterer Untersuchungen.

 

Beeinträchtigung der Sexualität

 
Dieses Problem betrifft alle Menschen, deren Blase entfernt werden musste. Jedoch gibt es geschlechtsspezifisch unterschiedliche Auswirkungen auf die sexuellen Aktivitäten.

 

Das emotional vielleicht schwierigste Problem für Männer ist die beeinträchtigte Fähigkeit zur Erektion (Gliedversteifung), wenn die Prostata entfernt wurde. Nicht immer können bei der Zystektomie die Nervengeflechte erhalten werden, die Signale der Sexualstimulation vom Gehirn an die Schwellkörper des Penis übermitteln. Das Lustgefühl bleibt jedoch erhalten und auch die Empfindung des Orgasmus. Es gibt eine Anzahl erprobter Mittel, die helfen können, das Defizit auszugleichen: z.B. durch Medikamente in Tablettenform; andere können direkt in die Schwellkörper des Penis gespritzt oder in die Harnröhre eingebracht werden. Eine Vakuumpumpe erzeugt einen Blutstau im Penis und bewirkt so eine Versteifung des Gliedes. Lassen Sie sich beraten und finden Sie mit Ihrer Partnerin, Ihrem Partner die für Sie passende Lösung.

 

Frauen: Im Gespräch vor der Operation sollte geklärt werden, inwieweit mit der vorgesehenen Methode die weibliche sexuelle Sphäre erhalten werden kann, siehe auch Seite 29 und 31. Während Männer nach der Entfernung der Samenbläschen nicht mehr zeugungsfähig sind, können Frauen nach der Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter keine Kinder mehr bekommen. Auch bei den Frauen bleiben das Lustgefühl und die Fähigkeit zum Orgasmus erhalten. Die Beschwerden der Wechseljahre setzen ein, wenn dies noch möglich ist. Sie können aber durch Hormongaben gemildert werden und klingen im Laufe der Zeit ab. Auch kann durch die Operation die Scheide enger oder kürzer geworden sein, was schmerzhafte Störungen beim Geschlechtsverkehr bewirken kann. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt und nutzen Sie die Erfahrungen anderer betroffener Frauen.

 

Inkontinente Harnableitung

 

Wenn eine Kontinente Lösung nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird, gibt es Möglichkeiten, den Urin über ein sogenanntes „nasses Stoma“ abzuleiten, d.h. hier gibt es kein „Ventil“ nach außen, sondern der Urin „tröpfelt“ ständig direkt durch die Öffnung (Stoma) in der Bauchdecke in einen Sammelbeutel. Die Stoma-Harnableitungen werden als chirurgisch einfach und störunanfällig angesehen.

 

Harnleiter-Hautfistel

Die beiden Harnleiter werden direkt in die Haut der Bauchdecke eingenäht. Über die Öffnung wird der Stomabeutel geklebt, in den ständig der Urin tropft. Die Harnleiter müssen durch Plastikröhrchen innen gestützt (geschient) werden, damit sie offen bleiben. Diese „Schienen“ müssen alle zwei bis drei Monate gewechselt werden.

 

Ileum-Conduit (Urostoma)

Dies ist ebenfalls eine inkontinente Harnableitung mit nassem Stoma in der Bauchdecke, über das ein Stomabeutel zur Aufnahme des Urins geklebt wird. Für die Bildung des Übergangsstücks zwischen Harnleiter und Bauchdecke wird ein ausgeschaltetes Dünndarmstück verwendet. An seinem inneren Ende werden die Harnleiter eingepflanzt, das andere Ende wird in die Bauchdecke eingenäht.

 

Folgeprobleme der Operation

Die vorher beschriebenen direkten Folgen der Blasenentfernung und der benachbarten Organe sind natürlich auch bei den inkontinenten Harnableitungen vorhanden, insbesondere die sexuellen Beeinträchtigungen. Da keine großen Darmstücke verwendet werden, gibt es aber nicht die damit zusammenhängenden Probleme.

 

Hauptsächlich können Störungen am Stoma auftreten. Von einer Retraktion spricht man, wenn sich das Stoma von der Hauptoberfläche zurückzieht. Ein Bruch des Bauchgewebes (Hernie) kann durch schweres Heben oder ähnliche Anstrengungen auftreten und muss behandelt werden. Eine Verengung der Stomaöffnung (Stenose) kann durch Narbenbildung oder Entzündung entstehen. Bei einer Blockade muss chirurgisch eingegriffen werden.

 

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